Wie Balance im Sattel auch unser Inneres verändert
Manchmal zeigt sie sich ganz leise – diese kleine Irritation im Körper, ein feines Kippen im Becken, ein unsicherer Moment beim Aufsteigen, das Gefühl, nicht ganz bei sich zu sein. Und manchmal überrascht sie uns wie ein Spiegel: das Pferd bleibt stehen, wird unruhig, zieht sich zurück – und zeigt uns damit etwas, das wir vielleicht selbst gerade nicht spüren. Unser Gleichgewicht.
Balance ist ein grosses Wort. Und doch so fein.
Sie beginnt nicht in der Muskulatur. Auch nicht in der perfekten Haltung. Sondern dort, wo wir bereit sind, wahrzunehmen: Wie bin ich gerade da? Wo sitze ich? Trägt mich die Erde – oder halte ich mich selbst?
Im Reiten wie im Yoga bedeutet Balance weit mehr als körperliche Stabilität. Sie ist ein Ausdruck von Verbindung, von innerer Zentrierung, von Präsenz im Moment. Eine Haltung, die aus dem Nervensystem kommt – nicht aus dem Willen. Wenn wir im Sattel sitzen, balancieren wir nicht nur unseren eigenen Körper auf einem sich bewegenden Lebewesen. Wir treten in Resonanz mit einem anderen Wesen, das unsere Spannung, unsere Schieflagen, unsere Atempausen unmittelbar spürt.
Wissenschaftlich gesehen ist dieser Prozess hochkomplex: Unser Gleichgewicht entsteht aus einem Zusammenspiel verschiedener Systeme – dem vestibulären Apparat im Innenohr, den Augen, den propriozeptiven Rückmeldungen aus Muskeln und Gelenken, sowie der Verarbeitung im Kleinhirn. Schon kleinste Impulse, etwa durch die Bewegung des Pferdes oder eine plötzliche Emotion, verändern unsere Haltung und damit die Art, wie wir auf das Pferd einwirken.
Eine Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien konnte zeigen, dass Reiter:innen mit einem differenzierten Körperbewusstsein deutlich stabiler im Sattel sitzen – nicht, weil sie mehr Kraft haben, sondern weil sie sich besser regulieren können. Es ist die Fähigkeit, in sich zu spüren, bevor etwas ins Aussen geht. Auch aus der Yogapraxis kennen wir diesen Moment: wenn ein Stand in Vrksasana (Baum) nicht durch Muskelkraft entsteht, sondern durch die innere Sammlung.
In der Hatha Yoga Pradipika, einem klassischen Yogatext, heisst es: „Sthira sukham asanam“ – eine Haltung soll stabil und zugleich leicht sein. Diese Qualität brauchen wir nicht nur auf der Matte, sondern gerade im Kontakt mit dem Pferd: Die Fähigkeit, aufgerichtet zu sein ohne zu erstarren. Wach im Körper zu bleiben, ohne sich zu kontrollieren.
Besonders schön zeigt sich das, wenn Menschen nach einer Yogasequenz zum Reiten gehen. Ihre Bewegungen sind weicher, der Atem ruhiger, die Hilfen feiner. Denn der Körper hat sich erinnert, dass Gleichgewicht nicht heisst, alles im Griff zu haben – sondern in Verbindung zu sein. Mit dem Boden. Mit dem Pferd. Mit dem eigenen Zentrum.
Neurophysiologisch betrachtet ist das kein Zufall. Studien zeigen, dass regelmässiges Gleichgewichtstraining – ob durch Reiten, Yoga oder bewusstes Barfussgehen – nicht nur die Koordination verbessert, sondern auch das Stresslevel senkt. Es beruhigt das autonome Nervensystem, stärkt die Selbstregulation und verbessert sogar die kognitive Leistungsfähigkeit. Oder anders gesagt: Wer Balance übt, wird nicht nur stabiler – sondern auch gelassener.
In meinen Retreats erlebe ich immer wieder, wie tief dieser Prozess gehen kann. Frauen, die sich im Alltag oft überfordert fühlen, die ständig funktionieren müssen, die sich selbst kaum noch spüren – finden in der Kombination von Reiten und Yoga einen Raum, in dem sie sich neu ordnen können. Nicht weil wir ihnen sagen, wie sie sitzen oder atmen sollen, sondern weil die Pferde und die Natur zu Spiegeln werden, in denen sie sich selbst wieder erkennen. Und weil der Körper – ganz ohne Druck – beginnt, sich neu auszurichten.
Vielleicht ist es genau das, was Balance letztlich bedeutet: nicht das perfekte Gleichgewicht, sondern die Bereitschaft, sich immer wieder zu regulieren. Zu spüren, wann wir zu viel geben oder zu wenig empfangen. Zu erkennen, wann Spannung zur Rüstung wird – und wann Loslassen nicht Kontrollverlust, sondern Vertrauen bedeutet.
Eine Einladung
Wenn du magst, nimm dir heute ein paar Minuten Zeit. Stelle dich barfuss auf die Erde – im Garten, im Stall, auf dem Waldweg. Spüre deine Füsse. Wie sie den Boden berühren. Schliess die Augen. Lass dein Gewicht sachte nach vorne rollen, zu den Zehen – und dann wieder zurück zu den Fersen. Spüre, wie du dich ganz ohne Anstrengung ausbalancieren kannst. Wie dein Körper sich selbst findet. Vielleicht ist genau das der erste Schritt – zu mehr Balance. Im Sattel. Im Körper. In deinem Leben.
Wenn du tiefer eintauchen möchtest in diesen Raum zwischen Aufrichtung und Weichheit, zwischen Kontakt und Rückzug – dann bist du bei unseren Reiten & Yoga Retreats genau richtig. Hier entsteht kein Gleichgewicht auf Knopfdruck. Sondern langsam. Echt. Und getragen von der Kraft der Pferde.