Es ist ein Bild, das sich tief eingebrannt hat in das kollektive Reiterinnen-Herz: Die Haare im Wind, kein Sattel, kein Zaumzeug – nur du, das Pferd und die Weite. Auf Social Media ist diese Vorstellung längst zum Sinnbild einer neuen Reitkultur geworden, in der Freiheit, Verbindung und Natürlichkeit im Vordergrund stehen. Auch bei unseren Retreats höre ich oft davon. „Ich bin auch mal ohne Sattel geritten“, erzählen Teilnehmerinnen, nicht selten mit leuchtenden Augen. Und ja – es fühlt sich leicht an, wild, ursprünglich. Zumindest für uns.
Doch was für den Menschen nach Losgelöstheit klingt, kann für das Pferd eine stille Überforderung sein.
Wenn du gerade sitzt, lade ich dich zu einer kleinen Übung ein: Forme mit deinen Händen vor dir eine Schale – und setz dich behutsam hinein. Was du sofort spürst, sind zwei spitze Punkte an deinem Gesäss. Deine Sitzbeinhöcker. Sie tragen dich beim Sitzen, sie geben deinem Körper Halt. Doch genau diese beiden kleinen Flächen treffen – wenn du ohne Sattel reitest – direkt auf den Rückenmuskel deines Pferdes. Dort, wo sich die langen Rückenmuskeln befinden, die sogenannten epaxialen Muskeln, die das Reitergewicht tragen – oder besser gesagt: aushalten müssen.
Die Forschung zeigt inzwischen deutlich, was dabei passiert. In einer viel zitierten Studie von Clayton et al. (2013) wurde mit sensiblen Druckmesssystemen untersucht, wie sich Reiten mit und ohne Sattel auf die Druckverteilung auswirkt. Das Ergebnis ist eindeutig: Ohne Sattel entstehen fokale Druckspitzen, insbesondere genau dort, wo unsere Sitzbeinhöcker aufliegen – im empfindlichen Bereich der epaxialen Muskulatur. Die Kontaktfläche ist deutlich kleiner, der Druck somit konzentrierter – und obwohl die gemessene Gesamtbelastung niedriger erscheint, ist gerade dieser punktuelle Druck kritisch. Die Forscher*innen sprechen von erhöhtem Risiko für muskuläre Schäden, insbesondere dann, wenn der Reitersitz instabil ist oder das Pferd ohnehin empfindlich im Rücken reagiert.
Auch eine aktuellere Analyse aus dem Jahr 2021 kommt zu ähnlichen Schlüssen: Bareback-Reiten – also das Reiten ohne Sattel – führe oft zu einer schlechten Gewichtsverteilung, die den Druck entlang der Wirbelsäule ungleichmässig und belastend auf bestimmte Zonen konzentriert. Vor allem bei untrainierten Reiter*innen oder in dynamischen Gangarten kann das zu Verspannungen, Schmerzen oder langfristigen Problemen führen.
Es geht hier nicht um ein Verbot. Auch ich liebe es, bewusst und verbunden mit dem Pferd zu arbeiten – manchmal ohne Zaum, ohne Sattel, mit nichts als Vertrauen zwischen uns. Doch diese Momente sind achtsam gewählt, kurz gehalten, eingebettet in ein Wissen um Biomechanik, Muskelstruktur und Erholung.
Denn: Freiheit bedeutet nicht, dass wir alles weglassen, was schützt. Freiheit entsteht dort, wo Verantwortung mitspielt. Und wo wir bereit sind, hinzuschauen, was unser Wunsch nach Leichtigkeit beim anderen Wesen auslöst.
Was ist mit Steigbügeln an Pads oder Lammfellsätteln?
Diese Kombination wirkt auf den ersten Blick praktisch – aber biomechanisch ist sie heikel. Pads haben keine stabilisierende Baumstruktur, keine Kammer und keine gepolsterten Kissen. Wenn man daran Steigbügel befestigt, wird der Zug aus dem Bügel direkt über das Pad auf den Pferderücken übertragen – genau dort, wo der Steigbügelriemen befestigt ist. Das liegt in der Regel im Bereich der Brustwirbelsäule, also unterhalb des Reiters, seitlich der Wirbelsäule.
Die Folge: punktuelle Druckspitzen an diesen Befestigungspunkten, vor allem dann, wenn das Pad weich oder instabil ist. Anders als bei einem gut sitzenden Sattel mit festem Baum fehlt hier jede Struktur, um diesen Zug abzufangen oder zu verteilen. Die Lendenregion ist davon nicht direkt betroffen, weil sich dort keine Steigbügelbefestigungen befinden – aber die sensiblen langen Rückenmuskeln im mittleren Rückenbereich stehen unter direkter Belastung.
Auch wenn es visuell nach Freiheit aussieht – biomechanisch entsteht eine Belastung, die weder vom Pferderücken noch vom Pad abgefangen wird. Deshalb gilt: Wer mit Pad reitet, sollte dies konsequent ohne Steigbügel tun. Dein Gleichgewicht wird dabei feiner, dein Sitz unabhängiger – und dein Pferd bleibt geschützt.
Was du stattdessen tun kannst – sanfte Wege zur Freiheit
Nutze ein gut gepolstertes, anatomisch geformtes Reitpad, das für diese Art des Reitens gemacht ist. Es sollte den Druck mildern, nicht nur dekorativ sein. Besonders dünne Decken oder Freizeit-Pads verteilen das Gewicht kaum und erhöhen das Risiko von Druckspitzen.
Reite ohne Steigbügel, wenn du mit Pad oder Lammfellsattel unterwegs bist. Das schult nicht nur dein Gleichgewicht, sondern verhindert auch punktuelle Belastung durch die Bügelbefestigung.
Begrenze die Dauer solcher Einheiten. Wenige Minuten im Schritt, auf einem gesunden, gut bemuskelten Pferd, können wertvoll sein. Längere Strecken oder gar Galopaden ohne Sattel sind biomechanisch schwer zu verantworten – selbst wenn sie sich für den Menschen frei anfühlen.
Trainiere deinen Sitz gezielt, auch abseits vom Pferd: Yoga, Pilates, Übungen auf dem Balancekissen – all das stärkt deine Körperwahrnehmung und lässt dich im Sattel (mit oder ohne) feiner mitschwingen.
Achte auf dein Pferd. Seine Rückmeldung ist oft leise, aber ehrlich: Verspannungen, Wegdrücken des Rückens, Taktunreinheiten oder verändertes Verhalten beim Aufsteigen können Hinweise sein, dass etwas zu viel war.
Vielleicht ist es das, was uns die Pferde immer wieder lehren: dass echte Verbindung nicht dort beginnt, wo alles frei und leicht aussieht, sondern dort, wo wir bereit sind, Verantwortung zu tragen – für unseren Körper, für unsere Bewegungen, für die Gesundheit des anderen.