Seit ein paar Jahren fällt mir immer wieder auf, wie sehr wir uns an positive Gedanken klammern, wenn es innerlich eigentlich eng wird. „Think positive“ – als wäre es ein Pflaster, das alles abdeckt, was wir im Moment nicht spüren möchten. In der Yogaszene sieht man das oft: viel Licht, viel Liebe, viel Lächeln. Und manchmal bleibt das Schwierige dann einfach irgendwo im Schatten stehen, schön verpackt, aber eben nicht gelöst.
Ich kenne das von mir selbst. Ich habe lange versucht, Dinge wegzudenken oder mir einzureden, dass es ja „eigentlich gut ist“. Rückblickend merke ich, wie oft ich in dieser Phase über meine eigenen Grenzen gegangen bin. Positive Gedanken fühlen sich angenehm an, aber sie sind nicht stark genug, um die Realität zu halten, wenn dahinter etwas anderes ruft. Und irgendwann kommt der Moment, in dem man versteht: Es gibt keine Abkürzung. Der einzige Weg ist durch das, was gerade da ist – nicht darum herum.
Manchmal zeigt sich das in kleinen Fragen, die leise im Hintergrund laufen: Was funktioniert gerade nicht? Was habe ich überhört? Wo tue ich so, als wäre alles gut, obwohl mein Körper längst protestiert? Diese Fragen stellen sich nicht, um uns fertigzumachen, sondern um uns wieder in Kontakt zu bringen. Sie holen uns zurück zu dem, was ehrlich ist.
Etwas, das oft auftaucht, wenn wir anfangen, auf uns selbst zu hören, ist Schuld. Schuld dafür, dass wir etwas für uns tun statt für andere. Schuld dafür, dass wir Grenzen setzen. Schuld dafür, dass wir nicht mehr alles erlauben – weder anderen noch uns selbst. Aber inzwischen sehe ich diese Schuld als Zeichen dafür, dass etwas in Bewegung kommt. Wir fühlen sie, weil wir uns aus alten Mustern lösen. Weil wir beginnen, für uns selbst einzustehen. Das fühlt sich zuerst ungewohnt an, aber es ist ein gutes Zeichen.
Auf unseren Reiten & Yoga Retreats erlebe ich das immer wieder. Menschen kommen an, oft müde, überfüllt, manchmal auch ein wenig verloren. Und im Rhythmus der Tage – zwischen Pferden, Natur, Gespräch und Stille – entsteht plötzlich Raum. Da wird nicht einfach über etwas drüber meditiert. Da wird nichts beschönigt. Stattdessen entsteht Akzeptanz: Die Fähigkeit, das anzuschauen, was gerade wirklich da ist. Nicht mehr und nicht weniger.
Vielleicht ist es genau das, was wir verlernen, wenn wir uns zu sehr an Positivität orientieren. Wir verlieren einen Teil unserer emotionalen Intelligenz. Wir sagen eines, fühlen aber etwas anderes. Wir halten unser Gesicht freundlich, obwohl unser Inneres eng ist. Wir verbessern unsere Worte, statt unseren inneren Kompass. Und irgendwann wissen wir nicht mehr genau, was echt ist und was wir uns eingeredet haben.
Es gibt einen Moment, in dem die Oberfläche nicht mehr trägt. Und genau dann beginnt etwas Neues. Wenn wir aufhören, uns selbst zu überlisten. Wenn wir durch das gehen, was weh tut, statt uns davor zu verstecken. Wenn wir nicht länger so tun, als wären wir schon „erleuchtet“, nur weil wir alles schönreden.
Ich glaube, echte Veränderung beginnt dort, wo wir uns wieder erlauben, ehrlich zu spüren. Da, wo wir verstehen, dass Akzeptanz nicht bedeutet, alles gut zu finden, sondern endlich aufzuhören, uns selbst aus dem Weg zu gehen. Und da, wo wir uns nicht mehr dafür entschuldigen, dass wir uns um uns selbst kümmern.

