Wie Veränderung wirklich entsteht – im Leben, im Sattel, auf der Matte
Ein Gedanke ist nichts weiter als ein Impuls. Doch wenn wir ihn immer wieder denken, formt er sich zu etwas Beständigem – zu einer Überzeugung, einem Glaubenssatz. Und mit der Zeit sinkt er tiefer, bis er nicht mehr bewusst gedacht werden muss. Er wird zur Gewohnheit.
Neurobiologisch lässt sich das gut erklären: Wiederholte Gedanken aktivieren dieselben neuronalen Netzwerke im Gehirn, wodurch sich die Verbindungen zwischen den Nervenzellen verstärken. Dieses Prinzip nennt sich Hebb’sches Lernen – „Neurons that fire together, wire together“. Was wir also häufig denken, verankert sich im Gehirn. Es wird leichter abrufbar, automatischer, unbewusster. So entstehen Routinen – im Denken, Fühlen und Handeln.
Wenn wir eine Gewohnheit ändern möchten, reicht es deshalb selten, nur das Verhalten zu verändern. Der Ursprung liegt tiefer – in dem Gedanken, der das Verhalten auslöst.
Auch im Umgang mit Pferden begegnen uns diese Automatismen. Wir reagieren oft schneller, als wir denken können: ein kurzer Zug an den Zügeln, ein Anspannen des Körpers, ein angehaltener Atem. Diese Muster sind im Nervensystem gespeichert, gespeist von alten Erfahrungen und den Gedanken, die daraus entstanden sind – etwa „Ich verliere sonst die Kontrolle“ oder „Ich muss das halten“.
In dem Moment, in dem wir beginnen, unsere Reaktionen zu beobachten, öffnet sich ein Zwischenraum. Ein kleiner Moment zwischen Reiz und Reaktion. Genau dort liegt die Möglichkeit zur Veränderung. Wenn wir statt automatisch zu handeln, innehalten, atmen, wahrnehmen, was gerade in uns geschieht, verändert sich etwas. Wir beginnen zu verstehen, dass unser Pferd nicht auf unsere Worte reagiert, sondern auf unseren inneren Zustand – auf Spannung oder Ruhe, auf Vertrauen oder Kontrolle.
Genau diese Qualität des Beobachtens ohne zu werten lernen wir im Yoga. Durch die bewusste Verlangsamung entsteht Raum, wahrzunehmen, was ist. Wir spüren, wie sich Gedanken, Emotionen und Körperempfindungen gegenseitig beeinflussen. Vielleicht merken wir, dass wir in einer Haltung den Atem anhalten, sobald es anstrengend wird, oder dass wir innerlich hart werden, wenn etwas nicht so gelingt, wie wir es wollen. Yoga lädt uns ein, all das zu sehen – ohne es sofort zu verändern.
Dieses bewusste Wahrnehmen, ohne zu urteilen, ist der erste Schritt zu echter Veränderung. Denn erst wenn wir uns selbst beobachten können, erkennen wir, welche Gedanken und Gefühle unser Handeln lenken. Wir beginnen, uns unserer Muster bewusst zu werden. Und mit diesem Bewusstsein entsteht Wahlfreiheit. Wir können neu entscheiden – im Yoga, im Sattel, im Leben.
Studien zeigen, dass regelmässige Achtsamkeitspraxis die Aktivität des präfrontalen Cortex stärkt, also jener Hirnregion, die für Selbstregulation, Emotionskontrolle und bewusstes Entscheiden verantwortlich ist. Achtsamkeit ist somit kein „Zur-Ruhe-Kommen“, sondern eine Form von mentalem Training, die uns befähigt, das eigene Erleben zu beobachten, bevor wir reagieren.
Diese Fähigkeit ist nicht nur auf der Yogamatte wertvoll. Sie verändert, wie wir Pferden begegnen, wie wir kommunizieren, wie wir atmen, wenn Spannung aufkommt. Wer lernt, die eigenen Gedanken und Körperreaktionen zu sehen, statt sie automatisch auszuleben, beginnt, sich innerlich zu beruhigen. Und diese Ruhe überträgt sich.
Veränderung ist kein Akt des Willens, sondern ein Prozess der Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns, sich durch neue Erfahrungen zu verändern. Je häufiger wir also einen neuen Gedanken bewusst denken, ihn fühlen und verkörpern, desto stärker wird die neue Verbindung im Gehirn. Genau deshalb sind Präsenz, Achtsamkeit und Wiederholung so kraftvoll.
Wenn wir beim Reiten nicht sofort korrigieren, sondern wahrnehmen.
Wenn wir auf der Matte nicht sofort weiterdrängen, sondern atmen.
Wenn wir im Alltag nicht sofort reagieren, sondern kurz innehalten.
Dann beginnen sich neue Bahnen zu formen. Alte Muster verlieren an Kraft. Und in der Stille zwischen zwei Gedanken entsteht etwas Neues – Bewusstsein.
Veränderung beginnt mit einem Gedanken.
Und sie bleibt, wenn wir ihn wahrnehmen, fühlen und wiederholen – bis das Neue selbstverständlich geworden ist.

